Österreich Kanada Eishockey WM
Peter Schneider (links) und seine Kollegen werden den Abend des 14. Mai 2024 wohl nie vergessen.
IMAGO/Andrea Branca

Prag/Wien – Es ist unfassbar, was Österreichs Eishockeynationalteam bei der WM in Prag abliefert. Zunächst waren die von Roger Bader trainierten Cracks beim 1:5 gegen Dänemark ziemlich neben der Spur. Dann lieferten sie dem Medaillenkandidaten Schweiz ein beherztes Duell, das nur knapp mit 5:6 verloren ging. Am Dienstag schien in der O2-Arena wieder alles programmgemäß abzulaufen, Österreich in eine klare Niederlage gegen Kanada zu schlittern. Selbst hartgesottenen Fans dürfte beim Stand von 1:6 nach zwei Dritteln die Lust vergangen sein. Die Kanadier mussten nicht einmal all ihr Können aufbieten, um dennoch Match und Gegner scheinbar mühelos zu kontrollieren. Die Österreicher waren in der Defensive ziemlich anfällig, schienen sich bereits ihrem Schicksal zu fügen.

Doch dann gelang Bader in der Pausenansprache ein gelungener Schachzug, dessen Konsequenzen er allerdings auch nicht annähernd erahnen konnte. Um ein drohendes Debakel abzuwenden, gab er seinen Spielern den Auftrag, sie mögen doch das Schlussdrittel genießen, schließlich spiele man gegen den Weltmeister und wolle nicht 1:9 oder noch deutlicher verlieren. Was dann folgte, war auch für die abgebrühten Kanadier schwer zu verdauen. Die Österreicher starteten eine so furiose Aufholjagd, dass sogar die "Ahornblätter" aus dem Mutterland des Eishockeysports bis zur Schlusssirene keine passende Antwort mehr fanden, ehe sie sich nach 15 Sekunden der Overtime doch noch durchsetzten.

Fünf Treffer für die Geschichtsbücher

Benjamin Baumgartner (44.), Peter Schneider (45., 56.), Dominic Zwerger (51.) und Marco Rossi (60.) hatten davor aber für die größte Aufholjagd in der Geschichte des Männereishockeys gesorgt. Noch nie hat bis Dienstag eine Mannschaft im Schlussdrittel einen Fünf-Tore-Rückstand aufgeholt – in rund 7000 Partien seit 1920 bei Weltmeisterschaften, Olympischen Spielen und Juniorenweltmeisterschaften. Dass dies ausgerechnet den Kanadiern widerfuhr, ist umso bemerkenswerter. Team Canada hatte bisher erst viermal in seiner Geschichte fünf Treffer in einem Drittel kassiert. Und das nur gegen die Eishockey-Kapazunder Sowjetunion (dreimal) und Tschechoslowakei, zuletzt vor 43 Jahren. "Dieses Spiel werden wir nie vergessen", meinte Rossi. "Nach zwei Dritteln war es schwer, noch daran zu glauben – eigentlich unmöglich. Auf einmal haben wir angefangen, Tore zu schießen, beim 6:3, 6:4 ist der Glaube gekommen. Natürlich hatten wir dann auch das Glück auf unserer Seite", sagte der bei Minnesota Wild in der NHL engagierte Stürmer.

Highlights | Canada vs. Austria | 2024 #MensWorlds
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IIHF Worlds 2024

"Wahnsinn, ich krieg das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht", sagte Zwerger im ORF. Dem Schweizer Stoiker Bader wäre schon beim Stand von 4:6 beinahe ein Lächeln entwischt. "Ich bin seit 30 Jahren Head Coach und habe in diesen 30 Jahren schon manche verrückten Spiele erlebt, im letzten Drittel fünf Tore gegen den Weltmeister zu schießen und aufzuholen, das ist schon ganz weit oben in meinem Ranking", sagte er später völlig gefasst.

Erstaunliche Effizienz

Auffällig ist die Effizienz der Österreicher. Wurden gegen Kanada im Schlussdrittel fünf von neun Torschüssen verwertet, so bedeuten insgesamt zwölf Treffer aus 56 Versuchen eine Quote von 21,43 Prozent, womit Österreich aktuell das mit Abstand effizienteste Team bei der 87. Ausgabe des Turniers ist. Diesbezüglich waren auch die fünf Treffer gegen die Schweiz sehr dienlich. So viele hat Österreich einer der großen Nationen bis dahin auch noch nie eingeschenkt.

Olympiasieger Finnland, am Donnerstag (16.20 Uhr, ORF Sport + und live im STANDARD-Ticker) nächster Gegner des ÖEHV-Teams, und Gastgeber Tschechien (Freitag) werden deshalb zwar bestimmt nicht in Ehrfurcht erstarren. Genährt wurde jedoch die Hoffnung, dass die Mission Klassenerhalt in den entscheidenden Matches gegen Norwegen (Sonntag) und Großbritannien (Dienstag) nicht zur üblichen Zitterpartie wird. "Den Schwung wollen wir mitnehmen. In den nächsten Spielen wollen wir aber gleich von Anfang so spielen. Wir wollen weniger Tore kassieren", sagte Zwerger. "Der Extrapunkt kann noch sehr wertvoll sein", meinte Bader. (Thomas Hirner, 15.5.2024)

Gruppe A - 4. Runde:

Schweiz - Großbritannien 3:0 (2:0,1:0,0:0)
Tschechien - Dänemark 7:4 (1:1,2:1,4:2)

Gruppe B - 4. Runde:

Deutschland - Lettland 8:1 (2:0,5:1,1:0)
Slowakei - Polen 4:0 (2:0,0:0,2:0)